Das Totengericht
des Osiris

Totengericht

(Gerichtshof der Unterwelt)

Das Totengericht ist die Vorstellung einer Unterwelt in der Mythologie der Alten Ägypter. Es besteht aus einem Tribunal von 42 Totenrichtern und »Osiris« als obersten Richter, der darüber entschied, welche Ba-Seelen in die Unterwelt verbannt werden (ewige Verdammnis), beziehungsweise welche Ba-Seelen die Erlaubnis zur Vereinigung mit ihrem Leichnam erhalten. Aus diesem Grund war es für den Totenkult unabdingbar, den Zerfall der sterblichen Hülle aufzuhalten (siehe »Mumifizierung«) – sie wurde im "nächsten Leben" ja noch gebraucht.

Nachdem der Verstorbene den »Duat« durchquert - oder besser - sich durch diese düstere Unterwelt gekämpft hatte, gelangte er auf dem Höhepunkt der Reise vor das Totengericht des Osiris, dem Gott des Todes und der Wiedergeburt. Dieser letzten Hürde musste sich der Verstorbene noch stellen und überwinden. Nur wer auch hier für würdig befunden wurde, durfte auf ein Weiterleben als geläuterte Seele im Jenseits hoffen - allen anderen drohte die ewige Verdammnis.

Im Glauben der Ägypter fand dieser Prozess in der "Halle der Vollständigen Wahrheit" - einer Halle von unermesslicher Größe statt. Von den Rängen blickten 42 Gottheiten (Richter) auf den Toten herab. Osiris, Herrscher über die Unterwelt, thronte unter einem Baldachin und wachte als oberster Richter über den Prozess.

Totengericht

Im Zentrum der Halle stand die Waage des Schicksals. Der schakalköpfige Gott »Anubis« legte das Herz des Verstorbenen auf eine der Waagschalen. In der anderen Waagschale lag die Feder der Göttin »Maat«. Sie (die Feder) symbolisierte die Wahrheit und Gerechtigkeit, Ausgeglichenheit und Harmonie. Nur diejenigen, deren Herzen ebenso leicht waren wie die Feder der Maat, waren rein von Sünde und würdig für das Weiterleben im lichten Teil der jenseitigen Welt. Während die Schalen sich auspendelten, musste der Verstorbene das sogenannte "negative Sündenbekenntnis" aus dem »Totenbuch« (Spruch 125) rezitieren. Dabei durfte ihm kein Fehler unterlaufen. Jedes gesprochene und unausgesprochene Wort wurde genauestens vom ibisköpfigen Gott »Thot« protokolliert. So bemerkten die Richter sofort, ob der Tote die Wahrheit sprach oder nicht.

Die 42 Totenrichter fällten jedoch kein Urteil, sondern berieten und berichteten vielmehr dem mächtigen Osiris. Der Verstorbene erbat daher die Totenrichter, das Wort "Wahrheit" über ihn auszusprechen und dass seine Worte im Sündenbekenntnis den Tatsachen entsprachen. Sie beeinflussten demnach das Zünglein an der Waage beim Abwägen des Herzens und die positive Bewertung des Osiris, der als oberster Totenrichter letztendlich das Urteil verkündete.

Das negative Urteil: Die ewige Verdammnis (Keku-Semau)

War nun das Herz schwerer als die Feder der Maat, also von Sünde belastet, verschlang »Ammut« gierig das unreine Herz. Ohne Herz konnte sich der Ba (etwa vergleichbar mit unserer Seele) nicht mehr mit dem Leichnam verbinden und wurde in die ewige Keku-Semau (Ur-Finsternis) verbannt.
Dargestellt wurde dieser Ort der unumkehrbaren Hölle der Finsternis ohne Zeit, ohne Schwerkraft und ohne jegliches Geräusch. Da er den Gegensatz zur Welt der Lebenden bildete, standen die Verdammten kopfüber, konnten so nicht essen und trinken, da alle Nahrung wieder aus ihren Kehlen herausquoll. So mussten sie sich von ihrem eigenen Kot und Urin ernähren.
Zu allem Überdruss machten Dämonen auch in dieser unheilvollen Welt Jagd auf die Unglücklichen, zerrissen ihre Leiber oder schmissen sie in einen See aus Feuer. Hier bekamen also die Verdammten ihre Strafe und erlitten nun den zweiten Tod - die entgültige Vernichtung für alle Ewigkeit. Dieser zweite Tod war für die alten Ägypter die schwerste Strafe, die sie sich vorstellen konnten.

Das positive Urteil: Die jenseitige Welt (Sechet-Iaru)

Pendelte sich die Waage mit Herz und Feder auf gleicher Höhe ein und hatte der Verstorbene seine Bitten richtig vorgetragen, so galt auch diese letzte Prüfung als bestanden. Er durfte nun als geläuterte Seele im hellen Teil der jenseitigen Welt glücklich und sorgenfrei weiterleben, der Sechet-Iaru.
Dieses Totenreich des Osiris stellten sich die Ägypter als sorgenfreie Oase und Kopie ihrer eigenen bekannten Welt vor. Mit anderen Worten: Das Leben im Jenseits spiegelt das diesseitige bisherige Leben wieder – nur ist alles schöner, einfacher und besser.
Hier existierten die Menschen in Gestalt ihrer Ach-Seele (ihrem Geist) und als Abbilder ihrer früheren Gestalt. An diesem Ort konnte der Ba des Toten nun wieder in seine mumifizierte Hülle zurückkehren und sie bei Nacht bewohnen.
Hier gingen sie ihren Berufen aus dem früheren Leben nach oder ließen sich von Uschebtis* vertreten. Sie ehrten die Götter und lebten mit ihnen in einer paradisischen Welt voller Glückseligkeit. Daher rührt auch der Name Sechet-Iaru, was übersetzt soviel wie Gefilde der Binsen am Flussufer bedeutet. (Sechet bedeutet "Feld", "Gefilde" und Iaru "Binse" oder "Sumpfgras").

* Uschebti

Um in der Sechet-Iaru von den Arbeiten befreit zu werden, ließen sich viele Ägypter als Grabbeigabe wenigstens ein Uschebti mitgeben. »Uschebtis« sind kleine Statuetten (meist aus Holz oder Stein), die als Diener für "lästige" Arbeiten bereitstehen. Besonders seit dem Neuen Reich wurde den Toten je nach gesellschaftlichem Stand und Vermögen mehr oder weniger viele Uschebtis beigelegt. So fanden sich in einigen Gräbern beispielsweise 365 dieser Figuren – jeweils eine für jeden Tag des Jahres. Pharaonen hatten allerdings in ihren Gräbern teils sogar über 1000 große Uschebtis.

Home